(Ausschnitt aus: „Wünsch dir was: Ohrenaufsperren – Das Festival des politischen Liedes lebt.“ Ein Gespräch mit Organisator Lutz Kirchenwitz)

1970 gegründet, mit der DDR untergegangen und seit 2000 wieder neu entstanden (siehe auch www.musikundpolitik.de).

Frage an Dr. Kirchenwitz: Zu seinem 30. Geburtstag findet erstmals seit 1990 wieder in Berlin ein Festival des politischen Liedes statt. Wer hat es wiedererfunden?

Kirchenwitz: Wir haben das im Verein »Lied und soziale Bewegungen« besprochen und beschlossen. Den Verein gibt es seit 1991. Er hat sich zum Ziel gesetzt, Spurensuche auf dem Gebiet Liedermacher und Folk in der DDR zu betreiben.
Wir bauen ein Archiv auf und machen verschiedene Projekte. Dass wir zu 30 Jahre Festival etwas machen müssten, war ganz klar.

Frage an Dr. Kirchenwitz: Wer hatte die Idee zum ersten Festival 1970?

Kirchenwitz: Es gibt so eine Story, nach der Reinhard Heinemann und Reinhold Andert und ich weiß nicht wer die Idee zu diesem Festival gehabt haben – auf einer Decke im Freibad Pankow. Soviel ist klar: Die Idee entstand im Oktoberklub, den ich mitgegründet habe. Man hatte den Wunsch, die Ohren aufzusperren, was sich international so tut, und entsprechende Gäste einzuladen.

Ursprünglich machte der Oktoberklub immer ein Konzert am 15. Februar in der Berliner Kongresshalle, zum Datum seiner Gründung. Daraus ist dann das Festival des politischen Liedes entstanden. Den Oktoberklub gab es seit 1966, damals hieß er noch Hootenanny-Klub. Das ist ein nicht direkt übersetzbarer amerikanischer Nonsensbegriff, der einen zwanglosen Folk- Abend bezeichnet.

Durch die großen kulturpolitischen Spannungen nach dem Desaster des 11. Plenums der SED war das offizielle Interesse 1965/66 sehr groß. Viele Funktionäre dachten, einen Rettungsanker gefunden zu haben: engagierte junge Leute mit ausgeprägtem politischen Bewusstsein. Wir wurden von Presse, Rundfunk und Schallplatte gefördert, mussten jedoch aufgrund der nächsten kulturpolitischen Reinigungskampagne, bei der gegen alle englischsprachigen Namen und Texte vorgegangen wurde, unseren Namen in Oktoberklub ändern. In dieser Zeit wurde auch die Bezeichnung Singebewegung eingeführt, damit man nicht mehr Folk sagen musste.
Von 1967 bis 1973 gewann die Singebewegung eine enorme Breite. Es gab zirka 4.000 Singeklubs, die sehr unterschiedlich auftraten, teilweise grauenhafte Musik machten, eigentlich nur zum eigenen Vergnügen und nicht für ein größeres Publikum. Beim FDJ-Treffen 1967 in Karl-Marx- Stadt machten Musik- und Jugendwissenschaftler die Beobachtung, dass sehr viele Jugendliche um Klampfen Grüppchen bildeten und Lieder sangen, die damals gang und gäbe waren, wie »We shall overcome« oder »Es steht ein Haus in New Orleans«. Wirklich freiwillig und spontan – das hatte es bis dato noch nie gegeben. Zugleich wurde in dieser Zeit die Rockmusik geknebelt, so dass viele Rockmusiker – das sagen die Leute von Renft auch – in die Singebewegung auswichen, die sie bereitwillig aufnahm.

Der Höhepunkt waren die Weltfestspiele 1973, in die auch das Festival des politischen Liedes integriert wurde. Man hatte damals das Gefühl, dass es infolge der Öffnung und der internationalen Anerkennung der DDR mit diesem Staat wirklich voran ginge. Das hat das Singen von politischen Liedern sehr beflügelt. Aber Ende der siebziger Jahre hatten viele Leute darauf keine Lust mehr.
Ausgesprochene DDR-Kritiker wurden nicht eingeladen, und die, die kamen, erlebten eine Art Schaufenster-DDR. Sie dachten: Toll, so ist die DDR. Riesige Säle mit wirklich begeisterten Jugendlichen. Es gab bei den Festivals wenig politische Aufregung, höchstens, wenn Herman van Veen oder Billy Bragg Bemerkungen zur Mauer machten. Ärger gab es aber immer im Vorfeld des Festivals, wenn DDR-Künstlern das Spielen einzelner Lieder nicht erlaubt wurde. Im Unterschied zu den ausländischen Gruppen mussten die DDRler ja ihre Texte der FDJ vorlegen. Aber je weniger öffentlich die Veranstaltungen waren, desto mehr konnten sie sich erlauben. Im Haus der jungen Talente, dem heutigen Podewil, wurde bis in den Morgen hinein diskutiert und gespielt, ohne dass das irgend jemand überblickt hätte. Dort wollte jeder hin; ein Szenetreffpunkt, der eigentlich für die Festivalteilnehmer reserviert war, doch die absoluten Fans waren genauso drin wie die Mitglieder von Engerling bis Silly.
Die Kartenverteilung fürs Festival wurde immer wieder heiß diskutiert. Es gab stets zuwenig Karten, das Anstellen für Karten hatte als so genannte Anstehnacht Kultcharakter, doch dann blieben immer wieder Plätze leer, weil zum Beispiel Karten bei FDJ-Kreisleitungen liegen geblieben waren.

FdpL 1972

 

FdpL 1972

Ausschnitt aus einem Text von Hans-Eckardt Wenzel im Heft zum Festival 2000:

… Ab und zu kam diese Welt zu Besuch. Dann war Festival. Und da wir nicht zur Welt hin konnten („die Welt“ war nicht nur ein Ort, sondern alle Orte, wir konnten aber niemals gleichzeitig bei ihr sein), versuchten wir, all die Festivals zu besuchen. Im Mangel-Staat DDR herrschte zumindest kein Festival-Mangel! Aber es gab einen Festival-Karten-Mangel, den gab es. Auch das Festival des politischen Liedes brachte uns den Festivalkartenmangel – aber es brachte uns auch die Welt In Gestalt von Liedern und Leuten, fremden Instrumenten und unbekannten Schicksalen: Exoten, oder deutsch sprechende Ausländer, alle Länder, in denen sich Widerstand entwickelte, waren zugegen. Widerstand gegen das andere System, versteht sich. Widerstand wird ja immer, trifft er die eigene Seite, nicht als Widerstand angesehen, sondern als Verrat. Die Welt war klar in ihrer besten Mitte durchrissen und lag in zwei Teilen vor uns. Aber wenigstens mehr als diese eine Hälfte wollten wir sehen, denn die Provinz herrschte überall (auch auf der anderen Seite, aber das wussten wir natürlich damals noch nicht!). Wir stellten uns in die langen Schlangen der Kartenkäufer, vor die launischen Blicke der Kartenabreisser, wir stellten uns falsche Ausweise aus, wir versuchten mit allerlei Tricks, der Provinz zu entkommen.
Die Ferne hatte uns wach gemacht, das Fremde zum Nachdenken getrieben. Die Welt schien wirklich zu werden durch diese Begegnungen.

Abgesehen von den ideologischen Mustern, jenem Pathos, das über den großen Veranstaltungen lag und dem einzelnen oft durch eine Art emotionaler Betäubung ein Stück Selbstvergessenheit auferlegte, konnten wir plötzlich vermittelt teilnehmen am Befreiungskampf der guten, fortschrittlichen Kräfte der Welt … Wir spendeten. Wir standen auf der richtigen Seite. So glaubten wir zumindest in diesen Augenblicken, als uns die Welt besuchte. War der Rausch verflogen, mussten wir wieder den Alltag leben, war dies schnell vorbei. Wir waren abwesend dann, abweisend, ja ganz auf uns selbst bezogen. Bei aller Skepsis, den Rest Glauben, dass es vorwärts gehen würde, den verloren wir erst sehr spät, viele Jahre nach all den historischen Endpunkten. In den 80er Jahren war das Starre der DDR (also letztlich ihre Identität) schon längst in der Auflösung begriffen.

Das Offizielle dieses Festivals blieb aber dennoch lange bestehen. Vielleicht lag es daran, dass der Begriff politisch im Namen stand, und alles Politische war auch zugleich Staatsaktion. So wurden die Veranstaltungen oft mit der gleichen Beflissenheit organisiert und dramaturgisiert, als würde es sich um staatsinterne Hochsicherheitsaufgaben handeln. Ach, dieser Übereifer. Wie oft es uns nicht gelang, an den mächtigen Einlassern an der Pforte zur Welt, an den Türen des HdjT (Haus der jungen Talente) vorbeizukommen, darüber schweigt des Sängers Höflichkeit…

Kommentar on Festival des politischen Liedes

    Harald Tresp
    3. June 2015

    Auch an der damaligen EOS Wolgast gab es ab dem Jahre 1969 einen Singeklub, in dem sich musikalisch vorbelastete Schüler - und nur Schüler zusammenfanden, um der neuen Musikrichtung zu frönen. Die Instrumente waren in der Regel aus Privatbeständen bis auf ein Teil des Schlagzeuges der ehemaligen EOS-Combo, in der ich zuvor das Schlagzeug bediente. Unser Singeklub hatte auf Grund von erfolgreich gestalteten Kreiswettbewerben relativ viele Auftritte zu etlichen politischen Anlässen (auch der Betriebe der Umgebung). Im Jahre 1969 lud uns auch das DDR-Fernsehen zu Dreharbeiten ein, die als Vorspann für eine Sendung dienen sollten (wurde auch ausgestrahlt). Als Küstenbewohner wurden sowohl Szenen am Strand im FDJ-Hemd gedreht als auch die Tonaufaufnahmen in Berlin beim Rundfunk aufgenommen. Die instrumentale "Untermalung" spielten Profimusiker ein. Leider sind die damaligen Filmaufnahmen nicht mehr auffindbar oder sie wurden unter einem verwirrenden Namen archiviert.
    Der damalige Kreisverband der Nationalen Front zeichnete die damaligen Mitglieder des Singeklubs auch mit der "Ehrennadel der Nationalen Front aus" (in Gold), die es dann nicht mehr gab.
    Innerhalb unserer Gruppe gab es auch viele gemeinsame private Feiern, die neben des intensiven Absingens von "neuen" Liedern auch das Nachsingen u.a. von Liedern Pete Seegers beinhalteten.
    Einige der damaligen Mitglieder erinnern sich heute noch daran und bedauern, dass die damaligen Filmaufnahmen nicht mehr auffindbar sind. Es kann sein, dass der Beitrag innerhalb des "Festivals des politischen Liedes" aufgenommen wurde, denn es war eigentlich Pflicht, das FDJ-Hemd /-bluse in Berlin zu tragen.
    Vielleicht lassen sich im Archiv die "Filmschnipsel" finden. Es wäre eine nette Erinnerung.

Schreibe ein Kommentar